Sonntag, 11.09.2011, 6.45 Uhr, 22° C, Tag der Abfahrt zu unserem elftägigen Schüleraustausch nach Russland. Mein erster Gedanke: „Ach du Schreck, heute ist es soweit, ich darf die Fellmütze nicht vergessen! Ob die noch in den Koffer passt?“ Aber eins nach dem Anderen. Heute geht es also nach Russland, genauer gesagt nach Pskov, einer Stadt nord- westlich von Sankt Petersburg, mit ca. 200.000 Einwohnern und wie wir später feststellten mindestens genau so vielen Kirchen und Kapellen. Unsere Gruppe von deutschen Schülern besteht aus 15 Mädchen. Wir sind zwischen 13 und 16 Jahren alt. Aufgrund des Altersunterschiedes kennen sich viele untereinander nicht, aber ich denke mir, dass das ja noch werden kann und schließlich sind wir den größten Teil unserer Zeit in den Gastfamilien. Doch am Bus, welcher uns zum Flughafen noch Düsseldorf bringen soll, macht sich allgemeine Ungewissheit breit, ich habe den Eindruck, dies mehr unter den Eltern als unter den Schülern. Im Bus bemerkt man schnell die Vorfreude. Viele der Mädchen hatten vorher Kontakt zu ihren Austauschpartnern, denn ungefähr 3?4 der Gruppe lernte vorher ein Jahr Russisch. Doch eine Frage kann man auf jedem Gesicht ablesen: Was erwartet uns dort wirklich? Wir werden es, wohl oder übel, auf uns zukommen lassen müssen. Für viele der Teilnehmerinnen wurde der Austausch erst durch die Unterstützung der Deutsch- Russischen Stiftung ermöglicht, die die Hälfte der Flug- und Fahrtkosten übernimmt, ermöglicht.

So verlassen wir das lauwarme Deutschland mit einem Koffer voller Gastgeschenke und mehr oder weniger hohen Erwartungen. Der 2 1?2 stündige Flug vergeht problemlos und das Erste was wir bemerken, als wir durch die Wolken auf den Sankt Petersburger Flughafen zusteuern, ist Wald. Der Flughafen liegt quasi im Wald! Und das soll Sankt Petersburg sein?! Nun gut, unser erstes Ziel wird erstmal Pskov sein, die drei letzten Tage werden wir dann noch in der damaligen Landeshauptstadt Sankt Petersburg oder früher Leningrad verbringen. Durch die Zeitverschiebung von zwei Stunden haben wir bei unserer Ankunft schon vier Uhr nachmittags. Am Flughafen werden wir sehr herzlich von einer jungen Lehrerin begrüßt, die uns neben den zwei deutschen Lehrerinnen, die den Austausch schon öfter organisiert haben, begleiten wird. Die russische Lehrerin erklärt uns in perfektem Deutsch, dass wir noch eine fünfstündige Fahrt nach Pskov vor uns hätten.

So fahren wir also in einem äußerst luxuriösen Kleinbus durch Wälder, Felder und vereinzelte Dörfchen, in denen die Häuser aussehen, als wohne Michel aus Lönneberga in ihnen. Frauen sitzen in Grüppchen an der Straße oder verkaufen Äpfel und Nüsse. Es ist doch etwas anders als in Deutschland, denn wir fahren über eine sehr holprige Landstraße und Ewigkeiten bekommen wir keine Menschenseele, geschweige denn Häuser zu sehen. Doch als wir in Pskov ankommen, sieht die Welt schon ganz anders aus. Es gibt Busse und Autos ,wie wir sie kennen, nicht zu vergessen die wunderschöne Universität und die Dreifaltigkeitskathedrale mit ihren goldenen Zwiebeltürmen, die direkt am Fluss Pskowa liegt. Die Aufregung ist riesig, als wir unsere Austauschschüler und Schülerinnen zugeteilt bekommen. Das legt sich erst am nächsten Tag in der Schule, als sich alle über die verschiedenen Gastfamilien, die Unterkunft und die unterschiedliche Essenskultur austauschen. Schnell wird klar, dass die Russen sehr freundlich und noch freundlichere Gastgeber sind. Zwar wohnen viele in Häusern schlechterem Zustand, als es in Deutschland üblich ist, aber das hat in Russland nichts zu sagen. Sie sind herzlich und großzügig, das ist die Hauptsache. So vergehen die Tage viel zu schnell. Wir haben viel Kulturprogramm während unseres Aufenthaltes. Es ist faszinierend die alten orthodoxen Kirchen mit ihrem Schmuck zu bestaunen, ebenso die alten Häuser, in denen sich Museen befinden, oder die Stadtmauern zu betreten, die oft schon seit 900 nach Ch. existieren, denn Pskov ist eine der ältesten Städten Russlands, in der viel Geschichte geschrieben wurde. Auch die Ausflüge in Museen nach außerhalb bringen erstaunlich viel Erkenntnis über das so unterschiedliche Leben im Vergleich zu Deutschland, wobei sich das Leben in Russland in den letzten 20 Jahren sehr modifiziert und westlich angepasst hat. Wir unternehmen aber auch Ausflüge ins Schwimmbad und in eine Shoppinghalle.

Abends gehen wir mit unseren Austauschschülern raus spazieren, und schon am ersten Abend verfluche ich es, die Fellmützedoch zu Hause liegen gelassen zu haben. Frische 5°C führen nach 2 1?2 Stunden auf einer eisernen Parkbank zu kalten Ohren. Am letzten Abend sind (nicht nur die Deutschen) zu Tränen gerührt, es wird ein großes Abschiedsfest in der Aula veranstaltet, und ein Dutzend Sänger, Tänzer oder Teathergruppen bringen Darbietungen! Anschließend gibt es ein typisch russisches Gericht. Unter anderem mit einem Entree aus Rotkohlsuppe (schmeckt besser als es sich anhört!). Es sind noch viele Freunde unserer Austauschschüler da, die uns verabschieden, denn am nächsten Morgen fahren wir schon gegen 6 Uhr nach Sankt Petersburg ab. Der Abschied ist schwer, aber wir müssen uns schließlich doch, den Koffer gefüllt mit Geschenken an unsere Familie und einem Haufen Süßzeug, auf den Weg machen. Bei unserer Fahrt zu unserem Hotel besichtigen wir direkt den Katharinenpalast mit dem Bernsteinzimmer. Dies ist eine alte Zarenresidenz und das himmelblaue Schloss und der riesige Schlossgarten sind einfach betörend schön. Petersburg ist unglaublich, das merken wir spätestens am Abend, als wir eine Nachtrundfahrt durch die Altstadt und an der Newa entlang machen. Das muss man einmal in seinem Leben erlebt haben, soviel ist uns allen klar. So viele prunkvolle Schlösser, die im Schein der Lichter überall aus dem Boden gewachsen zu sein scheinen. Die Größe und die Farben der Paläste, Kirchen und Kathedralen sind einfach nur atemberaubend! Die drei letzten Tage vergehen schnell. Wir bekommen die unglaublichsten Museen, die schönsten Kirchen und die teuersten Läden der Welt von innen zu sehen. Einer der unzähligen Höhepunkte dieser Reise ist für uns Mädchen jedoch das Ballett. Schwanensee in einer Besetzung von zierlichen russischen Ballerinas und slawischen Jünglingen. Ein Mädchentraum geht in Erfüllung.

Aber es ist nicht nur die Stadt Sankt Petersburg, die unsere Reise so lebenswert und einmalig machte, im Vordergrund für uns stand die neue Erkenntnis über Russland und sein stolzes Volk, denn wie wir im Nachhinein feststellen mussten, ist das Bild der Deutschen über Russland sehr getrübt. Als wir dann in Petersburg am Check-in sitzen, alle ziemlich k.o von der letzten Woche, jeder mit einem Lächeln auf dem Gesicht, und dies nicht nur wegen der Heimkehr, nein es ist eher ein allgemeines Schmunzeln über das Erlebte, sind wir uns alle einig: Eine Reise in den Norden ist allemal so viel wert wie in den Süden!
Susanne Jonetzko